Börsenweisheiten: «Gier frisst Hirn»

«Sell in May and go away, but remember to come back in September», solche und andere Börsenweisheiten können zu besseren Anlageentscheiden führen. René Nicolodi, Leiter Aktien- und Themeninvestments, nennt auch Börsenweisheiten, die vor Anlagefehlern schützen sollen.

René Nicolodi (rechts) und Martin Spieler über den Wahrheitsgehalt von Börsenweisheiten in der Sendung «Geld» (Quelle: CH Media/Tele 1)

Martin Spieler: Die Börsenweisheit «Sell in May and go away» – ist das für dieses Jahr eine gute Idee?

René Nicolodi: Ein Blick in die Statistik zeigt, dass an dieser Börsenweisheit etwas Wahres dran ist, auch was den zweiten Teil dieser Börsenweisheit «come back in September» betrifft. Seit den 1970er Jahren stellt man fest, dass für globale Aktien die Zeiträume von Januar bis April und Oktober bis Dezember tendenziell gute Börsenmonate sind. Mai und Juni sowie August und September sind dagegen eher schwierigere Monate.

Eine andere Börsenweisheit empfiehlt: Aktien bei Bad News zu kaufen und bei Good News zu verkaufen – ist dieser Handlungsempfehlung Folge zu leisten?

Die Weisheit dahinter lautet «Buy the dip». Wenn sich schlechte Nachrichten häufen, geraten Aktienkurse unter Druck. Anlegerinnen und Anleger können allenfalls günstige Einstiegspreise nutzen und auf Kursgewinne hoffen, wenn sich die Nachrichtenlage für Aktien aufhellt. Allerdings mahnt hier das Sprichwort zur Vorsicht: Never catch a falling knife. Man weiss nicht, wie tief Aktienpreise fallen können.

Sie sind seit über 20 Jahren Anlageprofi – welche Erfahrungen haben Sie mit solchen Börsenweisheiten gemacht?

Zum einen die Erkenntnis, dass starke Marktbewegungen manchmal länger dauern, als man sie sich selbst rational zu erklären vermag. Mit anderen Worten: Der Markt kann länger irrational agieren, als man selbst solvent ist. Somit gilt: «The Trend is your friend.» Sich gegen den Trend zu stemmen, ist keine leichte Übung. Man sollte auch immer die Langfristigkeit im Auge behalten. Kurzfristig kann es zwar riskant sein, in Aktien zu investieren. Gleichzeitig besteht aber auch das Risiko, nicht in Aktien investiert zu sein. Letzteres ist, angesichts der potenziell entgangenen Renditen, oft grösser.

Privatanlegerinnen und -anleger, die ihre Wertpapiere ständig austauschen, drohen Verluste. Häufig wird in diesem Zusammenhang das Sprichwort «Hin und her macht die Taschen leer» verwendet.

Das ist ein wichtiges Sprichwort, das sicherlich zutrifft. In diesem Kontext gibt es eine andere Börsenweisheit, und zwar «Time in the market schlägt in der Regel Timing the Market». Letzteres ist der Versuch, unbedingt den optimalen Ein- und Ausstiegs­zeitpunkt finden zu wollen. Das ist in der Regel illusorisch und kostet meist viel Geld. Bei «Time in the Market» geht es darum, konstant investiert zu bleiben und so von Wachstumstrends und dem Zinseszinseffekt zu profitieren.

Wie können Anlegerinnen und Anleger ein gutes Resultat erzielen?

Zum einen ist es wichtig, beim Investieren eine langfristige Perspektive beizu­behalten. Zum anderen gilt es, nicht alle Eier in denselben Korb zu legen, also über diverse Anlageklassen und Branchen zu diversifizieren. Das ist zentral. Der einzige Investor, der nicht diversifizieren muss, ist derjenige, der immer richtig liegt – aber den gibt es nicht.

Welche anderen Anlagefehler sollte man vermeiden?

«Gier frisst Hirn.» Dieses von Emotionen geleitete Vorhaben schnell zu viel erreichen zu wollen, führt meist zu Risiken, die sich langfristig nicht auszahlen. Am einfachsten wäre es natürlich für uns alle, wenn wir die Mutter aller Börsenweisheiten immer umsetzen könnten: «Buy low, sell high». 

 

Dieses Interview wurde erstmals in leicht veränderter Form in der Sendung «Geld» vom 26. April 2024 auf Tele 1, Tele M1 und TVO ausgestrahlt.

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